von Dr. Martin Stather, Mannheimer Kunstverein
zur Eröffnung des Mannheimer Kunstvereins in der BGN am 23.5.2002
Noch immer ist die Meinung weit verbreitet, die Fotografie bilde Wirklichkeit ab, bzw. das, was wir als Wirklichkeit verstehen, was wir sehen. Die Frage ist natürlich: was sehen wir eigentlich? Meist sehen wir das, was wir wissen, was unsere Seherfahrung uns seit frühester Jugend vermittelt hat. Die Welt ist in unseren Augen vorgeprägt und selbst Neues, vorher noch nicht Gesehenes, wird in diesen vorgeprägten Kontext eingebracht. Ebensowenig objektiv also, wie wir sehen, sieht auch der Fotograf, nur muß er die technischen Gegebenheiten zusätzlich berücksichtigen, kann er den Apparat als Hilfsmittel wie Pinsel und Zeichenstift benutzen, um sein Bild von der Welt zu erzeugen. Damit gewinnt die Darstellung die Oberhand über die Abbildung. Auch in der Malerei hat sich dies im Laufe der Jahrhunderte herausgebildet, die Fotografie mußte sich nur schneller entwickeln. Das Bild wurde zweischichtig (nach Arnold Gehlen), nämlich „in seiner Verselbständigung zu einer Reizfläche eigenen Rechts bei dennoch festgehaltener Gegenständlichkeit“. Anders ausgedrückt: Der Betrachter wird mit einem Gegenstand seiner Erfahrungswelt konfrontiert, der jedoch mit der Bildoberfläche, den malerischen oder fotografischen Mitteln konkurriert, die ihre Eigengesetzlichkeit einfordern.
Jürgen Hatzenbühler fotografiert Landschaft, oder vielleicht besser: in der Landschaft, und befindet sich damit auf den Spuren eines alten Themas der Kunstgeschichte. Der Landschaftsbegriff hat sich zwangsläufig im Laufe der Jahrhunderte gewandelt – von einem reinen Hintergrund, der als Folie für religiöse Darstellungen fungierte hin zur Entdeckung der Natur in der Romantik und weiter zum Realismus, der den Naturausschnitt ungeschönt und nicht mehr idealisiert zeigte. Die medialen Bilder und hier vor allen Dingen Film und Fernsehen haben die Perspektiven weiter verschoben. Nicht nur wurde der Landschaftsbegriff von allen Seiten hinterfragt, vielmehr wurde auch ein experimentelles Sehen mit der Kamera als Medium möglich. Hatzenbühler erzeugt mit seiner Kamera denn auch Bilder, die mit der gewohnten Wahrnehmung, mit der Alltagserfahrung wenig gemein haben. Landschaft wird in seinen Arbeiten zu einem umfassenden Begriff von Umwelt, die den Menschen umgibt und einschließt, eine Umwelt, in der er agiert, die er mit seiner Begrifflichkeit füllt und die er seinen Vorstellungen letztlich anpasst. Das verwendete Gerät, eine Panoramakamera mit beweglichem Objektiv, wird selbst bewegt, so daß eine doppelte Bewegung im Moment des Auslösens entsteht. Dadurch verwischen die Bilder, bleibt oft nur im Zentrum des Bildes ein Wirklichkeitsausschnitt erhalten, etwas, das den Erfahrungshorizont des Betrachters anspricht. Grafische Elemente scheinen die Landschaft in Strukturen aufzulösen, wie wir sie aus der Zeichnung kennen. Und tatsächlich ist es nicht ganz falsch, zu sagen, daß Jürgen Hatzenbühler sich der Landschaft mit dem Auge des Zeichners nähert. Trotzdem funktionieren diese Fotografien anders als Zeichnungen. In der Zeichnung entsteht die Darstellung Strich für Strich, wird gewissermaßen aus Strichfolgen gebaut. Bei Hatzenbühlers Fotografien entsteht die Darstellung im Augenblick, ist zu weiten Teilen vom Zufall und von der Erfahrung des Fotografen im Umgang mit der Kamera bestimmt. Als experimentelle Sicht auf die Natur huscht das Auge an dieser vorbei, fixiert mehr den Vorgang des Sehens selbst, also den kurzen zeitlichen Verlauf, als das, was fotografiert wird. Damit wird ein gänzlich ungewohnter Blick auf Landschaft eröffnet, die sich aus linearen Wirbeln und Zeichen formt. Eine zusätzliche Distanz ergibt sich aus der Schwarz-Weiß Fotografie, die den Blick auf Zwischentöne und feinste Verläufe konzentriert und nicht mit der Farbe der alltäglichen Wahrnehmung in konkurrenz tritt. Landschaft ist hier wieder etwas Artifizielles, was sie eigentlich imnmer war, denn im Grunde ist Landschaft ja nur eine menschliche Konstruktion des gerade gewählten und gesehenen Naturausschnitts.
Trotz alledem zerlegt Jürgen Hatzenbühler Landschaft nicht noch weiter in viele Fragmente wie dies andere tun, viel eher bietet er dem Betrachter einen schnellen Rundflug, einen Sekundenüberblick über all das, was es zu sehen gibt und gibt ihm so die Möglichkeit, Landschaft und Natur für sich neu zu entdecken, aber auch darüber zu reflektieren, was es eigentlich ist, was wir sehen und unter welchen Bedingungen wir es sehen. Jeder von uns kennt beispielsweise das Gefühl, aus einem fahrenden Zug zu blicken und die Landschaft vorüberziehen zu sehen. Alles was sehr nahe ist, kann man nicht oder nur sehr schwer fixieren, alles was weiter weg ist, kann man in Ruhe betrachten. Hatzenbühler kombiniert in seinen Arbeiten beide Blicke auf kongeniale Art und Weise und zeigt die Veränderung, die veränderte Bedingungen des Sehens bringen, Veränderungen, die uns vielleicht sonst nicht zu Bewußtsein gekommen wären. Abseits dieser analytischen Komponente seiner Arbeit ergeben sich Bilder von großer Ästhetik und Feinfühligkeit, die einen wesentlichen Aspekt von Landschaft heute einzufangen in der Lage sind und deshalb von höchstem Interesse.